Gina Été im Interview über ihre neue Single, das Songschreiben und das Gefühl der Freiheit in Corona-Zeiten

Gina, vor Kurzem hast Du Deine neue Single „Mach’s Gut“ veröffentlicht. Was so nach Liebeslied klingt, ist eigentlich gar keins, oder nur ein bißchen. Magst Du mehr über den Song erzählen. Und wie er entstanden ist?

Nur ein bisschen 🙂

Also Abschied hab ich ja schon gesagt. Kennst du den Moment, wenn du vor einer Weg-Gabelung stehst und ein Teil von dir möchte gerne links gehen, der andere Teil rechts? Du stellst dir vor, wie du beide Wege hinunter läufst, beide führen sie weiter, beide an sehr unterschiedliche Orte mit und zu unterschiedlichen Menschen; wie sie enden kannst du nicht wissen.

Doch plötzlich weisst du, dass du Links gehen wirst.

Die Landschaft rechts verschwimmt, du hörst dumpfe Stimmen rufen, sie gehen in einem Stimmengewirr unter, während du den Kopf abdrehst. Und ein kleiner Teil von dir wünschte, du hättest die Stimmen verstanden, sie hätten dich überzeugt.

In diesem Moment habe ich Mach’s Gut geschrieben. Ich sass an einem verstimmten Klavier in den Bergen, drückte die Tasten und plötzlich wusste ich mit einer unerschütterlichen Sicherheit, wie ich sie selten im Leben verspürt habe, dass ich links gehen werde.

Obwohl der Song sehr traurig klingt, ist er für mich eine sehr positive Art mit dem Thema Abschied umzugehen – ich fürchte mich selten vor Neuem, aber ich fürchte mich oft vor dem Vergessen.

Durch Mach’s Gut werde ich mich immer an diese wunderbare Weggabelung erinnern!

Gina Été Machs gut Cover Single
Gina Été – Machs gut Artwork Single

Und wie ist die Idee zum Video entstanden? Das ich übrigens sehr gut finde. Ich finde darin, auch in dem Song, etwas von mir selbst wieder, weil ich mich selbst in einer Abschieds- aber zugleich Aufbruchsstimmung befinde hinsichtlich eines Menschen und eines Teil meines Lebens.

Danke dir!

Ja, ich glaube, diese Situationen von Abschied und Aufbruch kennen wir alle irgendwie. Wohin brichst du denn auf? 
Tatsächlich ist das Video ziemlich spontan entstanden. Es fiel mir nichts ein und der Song ist zu persönlich für ein hippes Konzept-Video 🙂 Als ich mit dem Regisseur Samuel Dütsch telephonierte, meinte er, er hätte Lust, mit mir einen Tag lang ins Blaue hinaus Stimmungsbilder an einem verlassenen Bahnhof einzufangen – wenn es nichts würde, müssten wir es auch nicht veröffentlichen.

Alles Andere hat sich daraus ergeben – die Drehbewilligung vom Bahnhof, die Kehrichtverbrennungsanlage daneben, die Urne, das Feuer am Abend…

Gina Été – Mach´s gut Video

Du bezeichnest Dich selbst als Hybrid Pop Künstlerin. Was bedeutet das genau für Dich?

Ich hab das gerade kurz gegoogelt:

Hybrid bedeutet von zweierlei Herkunft oder aus Verschiedenartigem zusammengesetzt. Im Hybridmotor werden zwei unterschiedliche Antriebe vereint.“

Ich finde, das ist ziemlich passend; die Hin- und Hergerrissenheit zwischen Deutschland und der Schweiz, die verschiedenen Sprachen, die musikalischen Einflüsse aus Klassik, experimental, pop – du wirst da sicher auch einige parallelen zu meiner Musik finden?

Auch werde ich von zwei grundverschiedenen Antrieben immer wieder dazu gebracht, meine Musik zu veröffentlichen. Ich würde sie heute vielleicht mal ganz pathetisch „Selbstverwirklichung“ und „Weltveränderung“ nennen?

Also ich möchte Songs schreiben, Sprachen lernen, Instrumente spielen, mit anderen Menschen musizieren, auf Bühnen stehen, all das einfach für mich.

Gleichzeitig verspüre ich immer diesen Drang, irgendetwas in dieser Welt zu verändern, sie mit meinen Stärken und Fähigkeiten ein Stückchen besser zu verlassen, als ich dies mit einem puren, hedonistischen Leben tun würde.

Also formuliere ich politische und sozialkritische Gedanken in Texten, teile auf meinen Accounts politischen Content, trete an Demos oder Benefiz-Veranstaltungen auf und spreche mir am Herzen liegende Themen auch auf der Bühne an, mit der Hoffung, dass ich durch meine Musik vielleicht irgendwie Menschen zusammenbringe, in ihrem Denken bestärke oder sie zum nachdenken bringe.

Aber ehrlich, vielleicht wäre es effizienter, mich an Bäume binden zu lassen.

Uns KünstlerInnen ist es zu eigen, dass wir auf unserem Weg oft schon früh inspiriert wurden. Was und wer hat Dich auf Deinem Weg zur Musik und mit der Musik inspiriert?

Oh, ich sehe, ich bin zu wenig informiert, was machst du für Kunst? Magst du mir was schicken?
 Also zum Songs Schreiben bringt mich immer das Leben selbst – die Themen suche ich mir nicht aus, sie suchen mich immer heim. Das war so bei meinem ersten Song, wie auch bei den neuesten Singles Mach’s Gut oder Trauma.

Wohin sich mein „Genre“ gerade entwickelt und welche Musik ich mir anhöre, dazu inspirieren mich hingegen meist die Musiker*innen um mich herum!

So gründete ich meine erste Band mit einem Freund und tauchte da völlig ab in die Folk-Pop-Szene, während dem Studium haben mich Mitstudent*innen auf Björk, Massive Attack, Fiona Apple und Joanna Newsom gebracht, meine Bandmitglieder Jeremie Revel, Phillip Klawitter und Noé Franklé haben seit mehreren Jahren einen riesigen musikalischen Einfluss auf mich und aktuell lasse ich mich von zahlreichen FLINTA*-artists aus der mich umgebenden Experimental/Pop Szene inspirieren. So gerade die Kölner*innen Faira, Josin und Salomea, die Berliner*innen Marlena Käthe, Dear Reader und Kat Frankie, oder die Schweizer*innen To Athena, KT Gorique und East Sister.

Eine Frage ganz fernab Deiner neuen Single. Wie empfindest Du in dieser Zeit die Situation in der Schweizer Musikszene? Und wie gehst Du für Dich in der ganzen Lage damit um, trotz allem kreativ bleiben zu können?

Die ersten 2 Wochen Lockdown waren für mich ein kompletter Schock: 20 Konzerte abgesagt, meine Band hinter verriegelten Grenzen, auch meine Familie in einem anderen Land…

Nach zwei Wochen kam ein unheimlich erleichterndes Gefühl der Freiheit. Ich musste erstmals seit Jahren nichts tun. Nirgendwohin fahren. Keine Koffer packen. Keine Mails beantworten. Ich konnte einfach nur sein. Ich las vermehrt Bücher und hörte Podcasts, nahm wieder Arabisch Unterricht, begann Gitarre zu lernen, schrieb zahlreiche Songs- es war wirklich wunderbar.

Seit Herbst hat sich bei mir eine Art neue Normalität eingestellt: Ich nehme Arrangements für Streichensembles auf, komponiere für kommende Theaterprojekte, schreibe Songs, probe mit meiner Band und arbeite an Videos und Artwork für eben dieses kommende Album-Release. Damit bin ich gut beschäftigt und ich verdiene etwas Geld. Zudem war der Aufschrei um die Künstler*innen zumindest in der Schweiz ziemlich laut, ich werde im Moment finanziell unterstützt. Ich bin in diesem Schlamassel also recht privilegiert, solange ich Musik machen und mich mit Musiker*innen im kleinen Kreis treffen kann, geht es mir sehr gut!!!

Für Veranstalter*innen – deren wirkliche Existenz-Grundlage des „Event-Organisierens“ auf unbestimmte Zeit verboten ist – muss das viel schlimmer sein.

Manchmal verliere ich aber den Bezug dazu, warum ich eigentlich Musik mache, da ich nie die Menschen treffe, die sie sich anhören. Es fehlt mir der Austausch mit der Realität. Zwar erhalte ich viel Feedback über Social Media, aber das hat natürlich nicht dieselbe emotionale Bedeutung, es fühlt sich surreal, unfassbar an. Und auch finde ich das Unwissen, wie lange das jetzt so sein wird, ab wann man wieder etwas internationales oder Grösseres planen soll sehr frustrierend.

Es hilft mir immer, mich mit anderen Musiker*innen darüber auszutauschen, gemeinsam Musik zu machen, ein neues Projekt zu starten oder auch einfach mal Wandern oder Rad fahren zu gehen. Und ich freue mich auf das Rhein-schwimmen! (Eher in Basel als in Köln 😉 )

Und ja, ich weiß, eine schwierige Frage, doch was sind Deine musikalischen Pläne für die nächsten 12 Monate?

Also am 23. April folgt(e) ja die dritte und letzte Single „All Or Nothing“. Der Videodreh war der Wahnsinn: wir durften wegen dem Thema – wie wir die Welt behandeln – im natur-historischen Museum in Basel drehen, vor Mammuts und Dinosaurier-Skeletten!!!
Am 21. Mai folgt dann mein Debut Album „Erased By Thought“, 12 Songs in 4 Sprachen. Ich freue mich richtig, vor allem auf die Vinyl! (Ihr könnt sie bestellen, direkt bei mir, beim Motor Label oder auch in diversen Musikläden). Dazu folgen noch 2 Live-Videos mit meiner Band und Streichensemble und eine Live-Aufnahme aus dem Studio.

Was im Sommer passiert, weiss ich gerade noch nicht, für Herbst hätten wir dann eine Release-Tour angeplant, who knows.

Falls die ins Wasser fällt, ich habe schon wieder etwas 10 neue Songs ready, ich könnte auch einfach direkt wieder ins Studio fürs zweite Album 😀

Danke für das Interview! Ich wünsche Dir alles Gute für Deine weitere musikalische Reise. Und bleib gesund!

Christel

Hey merci dir, ich wünsche dir auch alles Gute, danke für deine Zeit! Gina

Gina Été © Nina-Maria Glahé
Die Hybrid Pop Künstlerin Gina Été © Nina-Maria Glahé