Der Sänger und Musiker Jon Flemming Olsen ist schon seit vielen Jahren eine feste Größe im deutschen Musikgeschäft. Für LaTrash.de hat er einen Gastbeitrag darüber verfasst, wie es ihm als Künstler während der Pandemie ergangen ist und ergeht.
Corona und die Kunst – Ein Gastbeitrag von Jon Flemming Olsen
„Mein Jahr 2020 fing relativ normal an: Im Januar keine Termine, im Februar dann die ersten Gigs. Nach der Weihnachts- und Neujahrspause fängt man wieder an zu proben, man pumpt sich innerlich sozusagen wieder hoch, kommt wieder in Wallung, in Arbeitsmodus. Mir fällt es immer eher schwer zu proben, gleichwohl weiß ich, dass mir ein Auftritt, für den ich mich richtig vorbereitet habe, immer viel besser gefällt, als einer, wo ich das Gefühl habe, nur halbgar anzutreten. Also tue ich es. So auch diesen Februar. Dann kamen die Auftritte: Ich spielte in Finkenwerder bei einem Indoor-Festival in einer schönen Kirche, dann in Langenhagen, dann in Lautenthal im Harz. Es war der 28. Februar. Marco, der Veranstalter, sagte mir nach dem Soundcheck, dass drei Gäste, die Tickets vorbestellt hatten, am Tag zuvor abgesagt hatten. Sie hatten Angst vor Corona, dieser neuen Krankheit, die gerade zu uns herüber schwappte. Na ja, wir zuckten die Schultern.
In der kommenden Woche kam die erste Absage für März. Dann folgten die nächsten. Alle Auftritte brachen weg.
Jon Flemming Olsen – Corona und die Kunst
Ich muss gestehen, dass ich das gar nicht so schlimm fand. Ich hatte im Dezember mein neues Album „Mann auf dem Seil“ bei einem Auftritt gemeinsam mit einem Streichquartett live aufgenommen und ich hatte noch einen riesigen Berg Arbeit vor mir: Die Takes zu sichten, die Spuren zu „putzen“, Lautstärke-Verhältnisse und -Fahrten, Klangfarben, Panorama, Räume, Effekte, und, und, und in Stellung zu bringen – um dann die Songs im Roh-Mix an meinen Tonmann Marc Schettler für die Endmischung und das Mastering abzugeben. Ich bin leider sehr akribisch. Und obwohl ich das genau weiß, unterschätze ich es immer. Und so tauchte ich ein in diesen Klang-Editiertunnel, und tauchte erst Monate später wieder auf. Während der ersten großen Corona-Welle war ich dadurch ohnehin in selbst gewählter Quarantäne und so gewissermaßen in völligem Einklang mit der Außenwelt. Ich arbeitete einfach jeden Tag von morgens bis abends und war dabei irgendwie froh, nichts zu verpassen. Nicht gestört zu werden. Und keine weiteren Aufgaben zu haben.
Ich weiß noch, dass ich anfangs für mich selbst keine große Angst vor Corona hatte. Ich empfand mich als relativ fit und gesund, das Virus würde mir aller Voraussicht nach nichts Schlimmes anhaben können. Nichtsdestotrotz nahm ich die Sache ernst. Ich hatte Mitte März einen Artikel in einer britischen Zeitung gelesen und erfuhr dort erstmals von der krassen Reproduktionsfähigkeit des Virus: „Exponentiell“ war das Zauberwort. Ich rechnete aus, wie sich die Krankheit verbreiten würde, wenn sie sich jeden Tag verdoppeln würde. Ausgehend von einem einzigen Fall wäre ganz Deutschland nach gut 27 Tagen infiziert, die gesamte Bevölkerung der USA nach knapp 29 Tagen. Und die gesamte Menschheit nach 33einhalb Tagen. Ich weiß noch, dass ich nach diesem Ergebnis relativ lange auf das Taschenrechner-Display starrte.
Im Frühsommer sollte mein Album ursprünglich veröffentlicht werden. Gemeinsam mit meinem Label verschob ich den Termin auf Ende Oktober. Aus heutiger Sicht fast rührend, aber ich dachte damals wirklich noch, dass sich bis dahin das Gröbste beruhigt haben könnte. Außerdem hatte ich so mehr Zeit für die Vorbereitungen zur Promo. Bis Juli waren ohnehin alle Auftritte abgesagt. Nur ein einziger Open-Air-Termin hatte sich tapfer festgekrallt. Ein Release wäre in dieser Zeit total sinnlos gewesen.
Wirtschaftlich bin ich in mehrfacher Hinsicht in einer glücklichen Lage: Ich lebe nicht allein, ich verdiene mein Geld neben Musik und Schauspiel auch noch als Grafiker, und natürlich stellte ich – ebenso wie vermutlich die allermeisten freien Kulturschaffenden – die entsprechenden Hilfsanträge, bekam auch problemlos alle Unterstützungen, neben der staatlichen auch von der GEMA. Ich wusste relativ schnell: Bis zum Jahresende würde ich problemlos durchhalten können, auch ohne meine Auftritts-Einnahmen. Das fühlte sich einerseits gut an, andererseits nicht. Ich wusste, dass es vielen Kolleg*innen sehr schnell deutlich anders gehen würde. Es ist ein eher befremdliches Gefühl, sich quasi allein in guter Position zu wähnen. Ich schämte mich ein bisschen.
Fast alle Musiker um mich herum schienen von Tag eins des ersten Lockdowns an Streaming-Konzerte zu geben. Eines reihte sich ans andere. Ich machte bei einem gestreamten Festival mit, hatte auch Spaß daran und wusste aber auch gleichzeitig ganz genau:
Wenn das das neue Ding sein sollte, bin ich raus. Ich kann keine Musik ohne Publikum machen, ohne Interaktion, Dialog und Reaktion. Davon lebt alles, was ich auf der Bühne tue.
Jon Flemming Olsen – Corona und die Kunst
Wie die Politik der Kultur unter die Arme greift, empfinde ich als extrem ambivalent. Neulich sprach ich mit einem südamerikanischen Musiker: „Wenn Du einem Kollegen in meiner Heimat erzählen würdest, dass es hier in Deutschland vom Staat Unterstützung für Verdienstausfälle gibt, wäre der einfach nur fassungslos. So etwas ist unvorstellbar bei uns.“
Und andererseits: Die Hilfen in Deutschland kommen zu spät, sie gehen an der Lebenswirklichkeit der Betroffenen oft total vorbei, die Anträge sollen niedrigschwellig sein, sind es oft aber nicht, Clubs müssen zuerst ihre Rücklagen aufbrauchen, bevor sie Geld bekommen, und so weiter. Man merkt eigentlich das, was man als Kulturschaffende*r immer schon wusste: Wir sind immer die allerletzten, mit denen sich Politik beschäftigt, wir sind immer die, um die man sich kümmert, wenn auf allen anderen Stellen schon Pflaster kleben. Man nimmt uns nicht ernst und man ist fremd in der freiberuflichen Künstlerwelt.
Man hat wie immer den Eindruck, als ob die Entscheider*innen auf uns schauen und sagen: „Ach, diese Kunst und Musik und das alles – das machen diese Leute doch sowieso. Die wollen das ja. Das macht denen ja Spaß. Die gehen da so drin auf, da muss man sich gar nicht kümmern.“
Jon Flemming Olsen – Corona und die Kunst
Ich werde auch im nächsten Jahr noch Musik machen. Ganz sicher. Aber viele von uns werden den künstlerischen Beruf auch an den Nagel hängen müssen. Spielstätten werden schließen müssen. Wer da von uns am Ende übrig bleibt, werden wir vermutlich erst in ein bis drei Jahren sehen. Wenn der Nebel des Schlachtfeldes sich verzogen hat. Vor diesem Bild graut mir jetzt schon ein wenig.“
Jon Flemming Olsen