Die Liedermacherin Sarah Lesch im Interview #femaleArtists

Im November kommt ihr neues Album „Triggerwarnung“, ihr erstes Lied daraus zeigt schon mal, in welche Richtung das neue Werk der Liedermacherin geht. Ein guter Grund, ein Interview mit Sarah Lesch zu führen, über ihre Musik, Feminismus und Frauen in der Musikbranche.

Sarah, mit Deiner neuen Single „Drunter machen wir`s nicht“ hast Du eine klare Ansage gemacht: Wir Frauen lassen nicht mehr alles mit uns machen. Wie kam es zu diesem Song? Und woher kommt Deine offensichtliche Wut, die in diesen Song einfließt?

Seit ich auf der Welt bin muss ich damit umgehen mit anderen Maßstäben bewertet zu werden als ein Mann. Früher war das für mich normal, denn ich kannte es ja nicht anders. Als ich dann Mama wurde musste ich an meinem Sohn erneut schmerzhaft gespiegelt bekommen, wie sehr uns die Gesellschaft in heteronormative Rollen zwingt, und daran sehe ich “wie ein Junge zu sein hat”.

Ich habe mich darin noch nie wohl gefühlt nur auf eine bestimmte Art sein zu müssen, doch ich dachte einfach ich muss das aushalten. Seit einer Weile bin ich viel mit Menschen zusammen, die andere Beziehungen und Rollenbilder leben und daran merke ich plötzlich, wie es auch sein kann und dass sich das viel stimmiger für mich anfühlt.

Und ich spüre, dass dieses Diktat aus Bewertung patriarchal geprägt ist und nichts weiter will als bestimmten Menschen niemals wirklich eine Chance zu geben. Selbst bei Männern, die ich und die sich selbst für feministisch halten sehe ich immer mehr Privilegienblindheit und gewaltvollen Umgang. Mit sich und auch mit anderen. Auch Frauen sind miteinander gewaltvoll und sexistisch. Und ich habe oft genug den Satz gehört, dass Frauen und andere, nicht Cis- männlich und heterosexuelle Menschen sich zum Opfer machen. Es gibt aber einen Weg da raus und der beginnt da, wo wir nicht mehr bequem und angepasst sind (sofern wir die Kraft dazu haben) sondern unser eigenes Maß setzen für ein respektvolles, qualitativ hochwertiges Miteinander auf Augenhöhe. Das braucht Mut und Zusammenhalt und den spüre ich gerade und deshalb habe ich mich endlich getraut dieses Lied zu singen.

Drunter machen wirs nicht“ ist der erste Song aus Deinem neuen Album „Triggerwarnung“, das für November geplant ist. Allein darin steckt ja schon Kraft, die was klarmachen will. Warum ausgerechnet dieser Titel?

Weil das eine der wichtigsten Fragen des Erwachsenwerdens und des eigenen Wachstums für ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben ist: “Was ist die Summe bei der du lächelst? Und dann machst du’s nicht mehr drunter.” Jeder Mensch soll sich das fragen dürfen und auch eigene Antworten darauf finden.

Sarah Lesch – Drunter machen wir`s nicht Cover

Triggerwarnung“ ist auch bei einem anderen Thema ein Stichwort. Was triggert Dich positiv und was negativ in der Musikbranche? Von außen, heißt aus Sicht der „EndverbraucherInnen“, wird die Branche mitunter ja so ganz anders gesehen, als sie wirklich ist. Viele wollen nur den Glanz sehen, aber kriegen oft nicht mal annähernd mit, was außerhalb der Öffentlichkeit passiert.

Diese Antwort könnte auch seitenlang sein aber ich halte mich etwas kürzer: Zum einen sind auf den Festival Line Ups und auch sonst in der Branche viel zu wenig Flinta* Personen vertreten und zum Anderen werden wir einfach nicht entsprechend entlohnt für unsere Arbeit. Das hängt auch sehr stark mit der digitalen Entwicklung zusammen und natürlich auch mit der momentanen Situation. Spotify, Amazon etc zahlen einen viel zu geringen Betrag an die Künstler:innen aus sodass wir am Ende auf Hilfen vom Staat angewiesen sind weil wir aktuell kaum oder nur gering besuchte Konzerte spielen dürfen. Die Big Player grasen alles ab und haben den Markt in der Hand. Das kann man weder den Endverbraucherpersonen, noch den Künstler:innen vorwerfen, denn hier geht es nicht um Inhalt und nicht um den Menschen. Es geht wie immer um Geld und Macht und dass einige wenige viel zu viel davon haben.

Damit meine ich auch, wer hat das Wort in der Öffentlichkeit und die Reichweite? Und wer wiederholt immer wieder dieselben abgedroschenen Phrasen und kommt nicht aus dem verkopften Listengerattere raus und erreicht deshalb auch nicht die Leute, bahnt Verschwörer:innen und rechten Parteien den Weg?

Und wer ist denn WIRKLICH an den Menschen dran?

Eigentlich arbeiten wir Kreativschaffende auf und hinter der Bühne rund um die Uhr und bewegen wichtige Themen in der Gesellschaft. Wer berührt die Menschen so tief, dass sich ihre Einstellung und somit ihr Handeln bzgl. Klima oder Fluchtthematik etc. verändern können? Das sind doch am Ende wir! Und wer tankt sie auf, wenn sie vom Malochen kaputt sind und nicht mehr in den Urlaub können? Das sind auch wir. Ich bin ohnehin Künstler:in, ganz egal ob ich davon leben kann oder nicht. Und ich gebe täglich meine Lebenszeit und akk meine Liebe dafür. Genau wie all die Krankenpflege Personen und alle anderen sozialen Berufe die nicht entsprechend dafür entlohnt werden. Ich brauche aber keine Almosen vom Staat, sondern eine adäquate Entlohnung für meine Arbeit, sowie kollektiv verwaltete und frei zugängliche Kreativräume. Auch das ist ein feministisches Thema. Die Wertschätzung in unserer Gesellschaft hängt völlig schief. Die meisten “weichen” und “weiblich belegten” Berufe werden schlicht nicht ordentlich vergütet.

Abgesehen davon ist auch ohne Pandemie das Musiker:Innen leben wild, schön und wundervoll – aber es gibt eine riesen Erwartungshaltung der Menschen an uns und mein Arbeitstag und der meines Teams von Verlag, Booking bis Tourmanagement ist um einiges länger als 8 Stunden. Wenn ich krank werde gibt es keine Kohle – so wie bei anderen Selbstständigen auch. Und dazu kann ich nicht in Ruhe auf die Straße gehen oder in die Sauna und werde als Diva bezeichnet, wenn ich mir Respekt und Abstand wünsche. Willkommen in meiner Welt.

Feminismus ist für viele ein Reizwort, ein negativer Trigger. Wie definierst Du für Dich Feminismus? Und was hat Dich zur Feministin gemacht?

Ich glaube, Feminismus ist für viele ein so provokantes Thema, weil es viele Menschen an ihren (oft bisher nicht bewussten) Privilegien packt, fordert, unbequem ist – aber so überlebenswichtig für Frauen und weiblich gelesene Menschen, dass es da auch einfach nicht möglich ist ständig “Bitte, bitte” zu sagen. Das spreche ich in meinen Liedern aus und es verwirrt viele. Es soll aber neben der Faust in der Luft auch eine Handreichung sein unter meinen bunten Regenschirm zu kommen, unter dem alle sich so emotional, weich und sanft zeigen dürfen, wie sie es empfinden. Ohne dafür beschämt oder beleidigt zu werden. Das verstehen immer noch leider viele Menschen falsch.

Freiheit ist kein Kuchen, der irgendwann weg ist. Meine Freiheit schränkt die Freiheit der anderen nicht ein oder nimmt etwas weg. Sie gibt mir lediglich die gleichen Möglichkeiten mich zu entfalten ohne Angst und Unsicherheit zu spüren. Das trug ich schon immer in mir und möchte da gern an Simone de Beauvoir anknüpfen und sagen man wird nicht als Feministin geboren, aber man wird dazu gemacht. Die aktuellen Umstände und meine eigenen Erfahrungen lassen mir keine andere Wahl als klar zu sagen “So nicht, es muss sich etwas ändern.”

Frauen in der Musikbranche sind für mich und auf meinem Musikblog LaTrash.de ein wichtiges Thema. Immer noch haben in vielen Bereichen Männer das Sagen, sei es in den Labels, sei es bei den Promoagenturen, sei es in Radio und Co. Du bist ja schon so einige Jahre Teil dieser Branche, wie empfindest Du das? Und was würdest Du Frauen raten, die – auf welche Art und in welchem Bereich auch immer – in der männerdominierten Musikbranche Fuß fassen wollen?

Es ist wahr, dass es noch immer viele cis-männliche Gatekeeper in der Branche gibt, die durch ihre Meinungen und Entscheidungen die Trends bestimmen und prägen. Das frustriert mich häufig, da ich natürlich spüre, dass diese Entscheidungen auch an unfaire und abwertende Parameter geknüpft sind. Es ist wenig Mut und Wertschätzung zu spüren für Künstler:innen, die durch jahrelange Bühnenerfahrung und großartiges Songwriting begeistern können, aber in den Augen der Entscheidenden “nicht wirtschaftlich” genug performen oder optisch ansprechender rüberkommen, sodass sie dann schnell gedroppt oder gemieden werden.

Andererseits spüre ich aber auch ein Umdenken. Es gibt viele Männer, die diese Strukturen satt haben und auch z.T. darunter leiden. Die haben Lust auf Veränderung, zeigen Verständnis und lassen sich auch da mitreissen. Trotzdem liegt da viel an carework und Engagement bei uns Frauen. Meine Erfahrung der letzten Zeit ist, dass es nur zusammen geht. Wir brauchen starke, weibliche Netzwerke, in denen wir einen safe space vorfinden um uns auszutauschen und zu unterstützen, wenn wir Hilfe benötigen. Nur gemeinsam geht es. Das wäre auch meine Empfehlung an Newcomer:innen und Kolleg:innen, die Fuß fassen wollen : Vernetzt euch, fragt nach, startet Kollaborationen. Und schaut, wo es euch gut geht in der Zusammenarbeit, wo ihr für euer Tun geschätzt werdet und was die Summe ist, bei der ihr lächelt.

Vor kurzem konnte ich ein Interview mit der indischen Künstlerin Ditty führen, die sich in ihrer Heimat für Frauenrechte einsetzt. In Indien sieht die Situation für Frauen um ein Vielfaches schlimmer aus als bei uns. Denkst Du, eine Veränderung des Denkens im Westen könnte irgendwann auch in die Länder ausstrahlen, in denen Frauen nach wie vor als minderwertiges Geschlecht betrachtet werden?

Da sprichst Du wichtige Zusammenhänge an, die mir auch am Herzen liegen. Ich denke sogar, dass es als weiße Europäer:innen unsere Pflicht ist voran zu gehen und auch mit und für unseren Kolleg:innen in anderen, weniger privilegierten Ländern für feministische Themen und in diesen Kämpfen einzustehen. Wir tragen aufgrund der kolonialen Geschichte eine große Verantwortung und sollten im Sinne des intersektionalen Gedankens auch hier verstärkt in Kollaboration und Vernetzung gehen. Denn ohne ist es keine echte Befreiung. Sie muss allen gelten. Sonst ist es wie eine Speise bei der man immer weiter essen muss auf der Suche nach dem Geschmack. An dieser Stelle möchte ich gern einen meiner Lieblings Poeten Erich Fried zitieren: “ Eine Freiheit, die nicht auch deine Freiheit ist, ist keine Freiheit.“ Und darin liegt der Schatz verborgen. Im wahren Miteinander. Bedingungslos und ohne Kompromisse.

Ich glaube, wir wissen oft gar nicht wie viel transformative Kraft in uns steckt. Wir brauchen sie nur zu aktivieren und anzunehmen. Keine Angst haben vor unserer Kraft.

Die indische Musikerin und Aktivistin Ditty im Interview über ihre Musik und ihr Engagement #femaleArtists

Deutschland, Europa, Indien, die ganze Welt braucht eine weibliche Zukunft und Verschiebungen in den oft immer noch so sehr erstarrten Rollenbildern. Trotzdem sind es oft immer gerade Frauen, auch in der Musikbranche, die zu Bremserinnen und Blockiererinnen der Veränderung werden. Woher nimmst Du persönlich die Kraft, trotzdem als Feministin – und als feministische Liedermacherin – weiterzumachen?

Mein Eindruck ist, dass viele Frauen sich wirklich Veränderung wünschen. Aber auch sie sind – wie viele meiner Freund:innen und ich – geprägt vom patriarchalen, harten Konkurrenzdenken und wiederholen Muster, die sie erlernt haben. Da braucht es eher offene Ohren und Dialog um da auch ein Umdenken und Umlenken herbeizuführen. Wir merken häufig gar nicht wie sehr wir diese Muster internalisiert haben bis ein Mensch mit uns darüber spricht, uns anspricht. Da geht es auch eher darum Verständnis zu zeigen als in Konfrontation zu gehen.

Weitermachen und Weiterwachsen als Liedermacherin und Feministin kann ich, weil es in meinem Umfeld viele, starke und liebenswerte Frauen gibt, die es mir Tag für Tag vormachen was es heisst, Feminismus (vor allem im Alltag) zu leben. Es sieht nämlich auf dem Papier auch immer leichter aus als es in der Praxis ist. Das spüre ich auch, aber noch mehr, wie wertvoll es ist diesen Weg weiter zu gehen. Deshalb mache ich das alles, schreibe meine Lieder und singe sie für alle, die sie hören wollen oder von ihren Frauen zum Konzert geschleift werden. (haha)

Die Liedermacherin und Feministin Sarah Lesch © Christin Goy
Die Liedermacherin Sarah Lesch © Christin Goy

Überhaupt das Thema Kraft. Die Pandemie hat unser aller Leben über den Haufen geworfen. Gerade die Musikbranche hat schwer gelitten, da über viele Monate keine Konzerte möglich waren. Wie hast Du als Musikerin diese Zeit erlebt? Und was hat Dir dabei geholfen, trotzdem weiter kreativ sein zu können und weiterzumachen als Liedermacherin?

Es wäre beschönigend zu behaupten, dass ich nicht auch Momente des Zweifels und der Ratlosigkeit hatte. Aber in mir schwang in dieser Zeit immer die Gewissheit mit, dass ich das alles aus einer absoluten, inneren Überzeugung mache und auch weiterhin tun will. Nicht vordergründig für Ruhm oder Geld. Sondern weil ich nicht anders kann. Weil ich Künstlerin bin und das für mich wie atmen ist. Das hört nicht Abends mit der Stechuhr auf. Es ist meine Lebensaufgabe. Das weiß ich und ich liebe sie. Ich darf Menschen mit meiner Musik Freude und Hoffnung geben. Das ist ein großes Geschenk.

Jetzt, wo Konzerte zumindest auf absehbare Zeit wieder möglich sind, wirst Du Auftritte haben oder was sind Deine Pläne für die nächsten Wochen oder Monate?

Im Moment stecke ich voll in der Planung und Vorbereitung für die Konzerte im Herbst und hoffe und bibbere mit dem ganzen Team, dass es auch alles stattfinden kann und am liebsten auch mit vielen Menschen (natürlich nur mit entsprechenden Konzepten).

Zum Glück passieren bis dahin auch noch ein paar spannende Single Veröffentlichungen. Eine davon wird turbulent glaube ich. Sie heißt “Schweigende Schwestern” und ich packe viel von meiner persönlichen Geschichte aus in dem Song. Das wird sicher eine herausfordernde Zeit und ich freu mich, wenn dann endlich das Album im November erscheint und ich dann hoffentlich wieder mit meinem ganzen lieben Live-Tour – Team bei widerlichem Hotelkaffee über die Geschichten vom Vorabend lachen und völlig übermüdet im Tourbus auf die nächste Stadt warten kann. Das ersehne und hoffe ich wirklich sehr.

Wir alle lieben unsere Arbeit. Und sie ist wichtig. Wir werden die Lieder brauchen. Wenn alles andere wieder “still” und einsam wird.

Ich bleibe positiv, weil ich weiß wie viele liebe Menschen hinter mir stehen, für mich und mit mir arbeiten oder mich unterstützen und meine Musik hören.

Ohne sie gäbe es mich wohl nicht. Ein Glück.

Danke für das Interview! Dir alles Gute, viel Kraft für Deinen feministischen Weg und eine auch spannende weitere musikalische Reise mit viel Kreativität und vielen neuen Liedern.

Christel