Ditty © Shehan ObeysekaraDie indische Musikerin und Aktivistin Ditty © Shehan Obeysekara

Seit 14 Jahren führe ich Interviews mit KünstlerInnen. So einige davon habe ich längst vergessen. Manche waren unglaublich spannend, andere unerträglich, und erblickten deshalb nie das Licht der Öffentlichkeit. Das beeindruckende Interview, dass ich mit der indischen Musikerin und Aktivistin Ditty führen konnte, wird mir jedoch sicher lange im Gedächtnis bleiben. Ist Ditty doch nicht nur Künstlerin, sondern zugleich ein Sprachrohr für ihr Heimatland Indien und ganz besonders für die indischen Frauen.

Ditty, vor wenigen Wochen hat mir ein Bekannter von Deiner Musik erzählt. Kurz darauf habe ich von Factory92 die Pagal Haina Compilation mit Musik aus Indien in meiner Mailbox. Eine spannende Synchronizität, wie ich finde. Wie kam es, dass Du für diesen Indien Sampler angefragt wurdest?

Synchronizität oder ein glücklicher Zufall. 🙂

Ich arbeite jetzt seit drei Jahren mit Pagal Haina zusammen. Mein Solo-Debütalbum namens Poetry Ceylon wurde auf ihrem Label veröffentlicht. Factory 92 half auch bei meinem anderen Projekt, dem Album von Faraway Friends, Rain is Coming.

Musikalisch um die Welt reisen: Pagal Haina – Musik aus Indien #LänderCompilation

Auf der Pagal Haina Indien Compilation ist Dein Song „Deathcab“ zu finden. Warum genau dieser Song für diesen Sampler?

Es war die Entscheidung des Labels – vielleicht haben sie den Song gewählt, der vom Publikum zu Hause am meisten geschätzt wird.

Indien ist ein kulturell unbeschreiblich reiches Land, und wird doch von der westlichen Welt so oft nur als armes Land angesehen. Was bedeutet für Dich persönlich Kultur und Musik in Indien?

Ja, du hast es gesagt. Indien ist unbeschreiblich reich. Wir leben in einer alten Kultur und bildender Kunst, Geschichtenerzählen, Musik und Poesie sind allgegenwärtig. Unsere Geschichte und Kultur wird in Geschichten von Generation zu Generation weitergegeben. Rezepte werden in Schätzungen und Verbänden weitergegeben. Unsere traditionelle Musik ist ziemlich komplex und eine mündliche Überlieferung – es gibt immer noch keine Möglichkeit, die Musik auf Papier zu notieren. Der Großteil der indischen Philosophie und Kultur ist in der Mythologie der Erde verwurzelt. Vieles hat damit zu tun, im Einklang mit der Natur zu leben und mit dem Bewusstsein der Erde vereint zu sein. Ich bin mit all diesem Zeug aufgewachsen – es ist kostbar! und unsere Kultur ist so reich, ich schätze mich sehr glücklich.

Und welche indischen Künstlerinnen und Künstler, aus der Musik, aber auch aus anderen Künsten, haben Dich besonders inspiriert?

Artists Unlimited | Chor

War ein unabhängiger Chor, an dem ich teilnahm und der den Grundstein für meine musikalische Reise legte.

Rabindranath Tagore | Philosoph, Naturforscher, Künstler, Autor

Seine Ideen zu Inklusion, dem Einssein mit der Natur und der Fähigkeit, sich auf so viele verschiedene Arten auszudrücken, sprechen mich an.

Geoffrey Bawa | Sri Lanka – Niederländischer Architekt

Bawa hat einen Weg gefunden, die Grenzen zwischen drinnen und draußen zu durchbrechen.

Vandana Shiva | Schriftsteller, Biologe, Ökologe

Ihre Schriften über Ökofeminismus waren zutiefst nahrhaft und inspirierend

Ruskin-Bindung | Autor aus Indien

Meine Lieblingsbücher aus meiner Kindheit waren Naturgeschichten von Ruskin Bond

Ich hatte gehört, dass Du in meiner Heimatstadt Hannover ein Konzert spielen solltest. Ich weiß nun gar nicht, ob es dazu kam oder nicht. Magst Du ein wenig darüber erzählen, wie da im Moment der Stand der Dinge ist in Sachen Ditty Konzerte in Deutschland ist?

In Hannover habe ich noch nicht gespielt – dafür habe ich mein erstes Showopening für Guacayo in Hamburg gespielt. Es war reizend! Ich fange gerade erst an, in die Szene einzusteigen, und hoffe, dass ich in den kommenden Monaten mehr tun werde.

Du hast Straßenmusik gemacht im Rahmen von #StreetsForUs mit dem sich indische Frauen den öffentlichen Raum zurückerobern wollen. Wie war das für Dich, so nach außen zu gehen mit Deiner Musik und ganz klar auch zu zeigen, wir Frauen haben auch Rechte? Es ist ja immer so, einer nimmt sich ein Herz und fasst Mut und beginnt, für seine Sache zu kämpfen. Und inspiriert damit andere. Und diese inspirieren wiederum andere. Das ist ja wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird, der immer größere Wellen. (Es gibt dazu ein bekanntestes deutsches Lied, das mich seit meiner Kindheit immer wieder berührt.) Sagt Dir Dein Herz, dass Du so ein Stein sein willst, der sich selbst ins Wasser wirft, um immer größere Wellen zu schlagen, und wirklich etwas zu verändern? Ich finde das absolut mutig.

Du hast so recht mit dem Herzen. Ich glaube, mein Herz ist es, was mich dazu bringt, Dinge zu tun. Ich hinterfrage sehr oft meine Rolle in der Gesellschaft. Ich frage mich, wie ich auf die Herausforderungen unserer Zeit reagieren kann. Also ja, es war schwer. Ich bin mit meiner Freundin und Filmemacherin Lakshya Dhungana (nepalesisch-kanadisch) auf die Straße gegangen. Wir wurden mehrmals belästigt und stellten viele Fragen und einmal wurde sie auch auf die Polizeiwache gebracht!

Straßenmusik ist auf den Straßen nicht erlaubt und Filmen auch nicht. Aber es gab Zeiten, in denen die Leute weinten und uns dabei zusahen, was wir taten. Es gab Zeiten, in denen andere uns halfen, einen Auftrittsort zu schaffen, eine Aufführung, bei der mehrere Mönche kamen und sich auf die Straße setzten, um mich singen zu hören. Es gab eine Aufführung, als viele andere Frauen im Dunkeln zu uns kamen, in Nepal, wo sie sonst drinnen gewesen wären. Das Herz ist so ein Kraftpaket und kann große Wellen schlagen.

Ich blicke schon seit vielen vielen Jahren nach Indien, Freunde von mir arbeiten für ein Hilfswerk, das zahlreiche Kinderheime in Indien aufgebaut hat und auch Patenschaften anbietet für indische Kinder. Vor mehreren Jahren habe ich dort einige Monate im deutschen Büro dieses Hilfswerk als Volunteer gearbeitet. Bei diesen Projekten wird auch viel für Mädchen getan, um ihnen ein anderes Leben zu ermöglichen. Wie empfindest Du als Frau, Künstlerin, Inderin, diese von außen kommende Hilfe? Bewirkt sie etwas? Und wo sind Deiner Ansicht nach vielleicht noch Nischen, Punkte, wo Hilfe für Frauen in Indien noch greifen könnte?

Die Systeme sind so aufgebaut, dass arme Länder arm bleiben. Die Reichen in Europa und Amerika werden reicher, während der Rest der Welt ärmer wird. Es fällt mir so schwer, die Ungleichheit zu akzeptieren. So sehr ich auch die Hilfe von außen befürworte, wir müssen letztendlich einen Weg finden, um einen systemischen Wandel in der Gesellschaft zu vollziehen. Asiatische und afrikanische Länder müssen Wege finden, um autark zu werden. Für Frauen ist das ein so schwieriges Thema. In Indien leben wir in einer patriarchalischen Gesellschaft. Die Dinge werden sich langsam ändern – sie werden Zeit brauchen. Die Bildung von Frauen ist ein wunderbarer Ausgangspunkt. Und damit meine ich nicht die traditionelle Bildung, es könnte alles sein, von natürlicher Landwirtschaft über Berufe bis hin zu Hygiene- und Menstruationserziehung – nur um ihnen einen Ort zu bieten, an dem sie sie selbst sein, interagieren und etwas Größeres als sie selbst erschaffen können.

Du selbst engagierst Dich jedoch nicht nur für Frauen, sondern Dir liegt auch der Wasserschutz am Herzen. Zusammen mit der deutschen Organisation Viva Con Agua, um eine Platte mit Bezug zum Wasser zu schreiben, um Gelder für den Wasserschutz in Nepal, Malawi, Simbabwe und Indien zu sammeln. Außerdem ist Dir der Ausgleich von CO2-Emissionen wichtig, wofür Du mit Deinem Projekt Make Forests Not War an einem bewussten Tourmodell für Künstler arbeitest. Und Du pflanzt selbst Bäume in Indien. Es gibt ja leider genug Menschen, den unsere Welt und andere Menschen einfach scheißegal sind. Was hat Dich darauf gebracht, Dich so zu engagieren und letztlich ja auch Dein Leben da rein zu investieren?

Ich bin ein sehr sensibler Mensch. Nachdem ich Architektur und Stadtökologie studiert und dann in der Industrie gearbeitet habe, habe ich viele, viele unbequeme Wahrheiten gesehen. Ich war lange Zeit depressiv und sah keinen Ausweg. Bis ich beschloss, auf diese Dinge einfach so zu reagieren, wie ich kann. Veränderung beginnt in mir. Dies ist mein Weg. Ich möchte mein Bestes geben, ein guter Mensch sein, freundlich, glücklich und kreativ sein, ein schönes kreatives Leben mit viel Dankbarkeit führen.

Ditty © Shehan Obeysekara
Die indische Musikerin und Aktivistin Ditty © Shehan Obeysekara

Ein sehr ungewöhnliches Interview, ich weiß. Ich wünsche Dir alles Gute. Viel Kraft für Deinen weiteren Kampf für Frauenrechte in Indien und Dein Engagement im Kampf gegen den Klimawandel. Und ich wünsche Dir viel Inspiration für Deine Musik.

Ich bin schon sehr gespannt auf Deine Antworten. Danke dafür.

Christel

Christel, ich möchte sagen, dass dies ein so durchdachtes und unkonventionelles Interview war. Ich weiß das sehr zu schätzen und wünsche dir auch alles Gute! <3