Lina Maly © Antje Burchert

Das Lina Maly Interview bildet den Abschluss vieler spannender, inspirierender Interviews, die ich in 2021 mit ganz unterschiedlichen KünstlerInnen und Bands geführt habe.
 
Lina, bevor ich Dir ein paar Fragen zu Deinem Album stelle, zuerst eine andere, zurzeit vermutlich noch wichtigere Frage. Deine Tour wurde verschoben, nun sieht es möglicherweise wieder schlecht aus mit Deinen Konzerten. Wie gehst Du damit um? Mit der Ungewissheit und mit diesem vielleicht wieder nicht auftreten zu können?
 
Ich bleibe zuversichtlich und um ehrlich zu sein, hoffe ich einfach so sehr, dass es klappt. Ich habe das Gefühl, es hängt wie eine dunkle Ahnung über uns allen, dass die Tour abgesagt werden könnte, und das stresst natürlich. Für uns bedeutet es nicht nur eine unvergessliche Zeit haben und endlich wieder mit den Fans die Musik live zu teilen (das kommt dazu) sondern auch finanzielle Einnahmen: für meine Band, meine Bookingagentur, die VeranstalterInnen und allen anderen Beteiligten. Die letzten zwei Jahre haben ganz schön an der ganzen Branche genagt und diese Tour ist ein riesiger Lichtblick für mein ganzes Team.

Ende Oktober ist Dein Album „Nie zur selben Zeit“ erschienen. Veröffentlicht hast Du Dein neues Album auf Deinem eigenen Label, Drei Tulpen Records. Wie kam es dazu? Ist ja nicht gerade der einfachste Weg, ein eigenes Plattenlabel auf die Beine zu stellen. Und wie bist Du bei der Gründung Deines Labels vorgegangen?
 
Ich habe das große Glück, ein Management Team zu haben, das bereits Labelstrukturen hatte. Ich habe dort ein Unterlabel gründen können, was einiges erleichtert hat. Deshalb liest man auch häufiger “Drei Tulpen Records distributed by Rootdown”. Die größte Herausforderung stellte für mich da, die bekannten Labelfunktionen neu zu verteilen bzw. selbst zu übernehmen: Wo hole ich mir Feedback, Rat? Wer macht die Radiopromo? Wie finanzieren wir die Produktion, Musikvideos, Fotoshootings, Reisekosten? Und die Liste geht weiter.

Dadurch, dass sehr viel weniger Budget zur Verfügung stand, hat zB. meine Mama meine Pressebilder geschossen, ich meine Videos angefangen selbst zu drehen und zu schneiden und so wurde es immer mehr zu einem DIY Projekt, was eine tolle aber auch nervenaufreibende Erfahrung war.

Mit Freiheit kommt eben auch Verantwortung und Arbeit.

„Nie zur selben Zeit“ ist ein sehr persönliches Album, wie auch die Single „Schmerz vereint“ zeigt. Mit diesem Song hast Du Dich bewusst einem Thema gestellt, dass in unserer Gesellschaft immer noch allzu gerne unter den Tisch gekehrt oder zum Teil sogar noch als Kavaliersdelikt angesehen wird. Das Schweigen zu brechen, ist umso wichtiger, um anderen Opfern sexueller Gewalt zu zeigen, dass sie nicht allein sein. Wie bist Du damit umgegangen, während Du diesen Song geschrieben hast? Mitunter birgt ja die kreative Beschäftigung und Umsetzung mit dem, was einem passiert ist, die Gefahr, sich selbst zu triggern. Das kenne ich von mir selbst. Und wo würdest Du Dir mehr Sichtbarkeit und mehr Offenheit wünschen für Opfer sexueller Gewalt?
 
Ich habe das Lied eigentlich nur für mich geschrieben. Um zu verarbeiten, was mir passiert ist – als therapeutische Maßnahme sozusagen. Es tat gut, den Schmerz in Musik und Worte zu verpacken. Der Entschluss, es zu veröffentlichen kam erst einige Wochen später, als mir klar wurde, dass ich anderen Betroffenen damit helfen könnte.

Dann habe ich erst die zweite Hälfte vom Song geschrieben, um die Verbundenheit und unseren Mut zum Ausdruck zu bringen. Ich wollte vor allem sagen, egal was dir passiert ist: du bist nicht allein, wir sind für dich da.

Neben „Schmerz vereint“ finden sich natürlich noch wichtige andere Songs auf Deinem dritten Sololalbum. Warum genau diese Zusammenstellung von Songs? Und warum in dieser Reihenfolge? Was ist für Dich der rote Faden in „Nie zur selben Zeit“?
 
Die Themen des Albums sind sehr nah an mir dran und an dem was ich die letzten zwei Jahre erlebt habe. Es geht zum ersten Mal hauptsächlich um Liebe. Wie ich die unterschiedlichen Stadien und Momente wahrnehme und mich in sie hineinwerfe. Aber auch, wie es sich anfühlt, keine Klarheit zu haben, abgelehnt und vergessen zu werden.

Ich habe sehr tief gegraben und auch in Ecken geschaut, die weh getan haben.

Lina Maly – Nie zur selben Zeit Artwork

Inspiration ist ein wichtiger Faktor, um kreativ zu sein. Wer hat Dich besonders inspiriert im Laufe Deines musikalischen Werdens und Weges? Und wen würdest Du in der Gegenwart als Deinen größten künstlerischen Einfluss bezeichnen?
 
Vor allem inspirieren mich meine Gefühle. Die können ausgelöst sein durch Gespräche, Konflikte, Filme oder auch lose Gedanken. Wenn ich meine Lieder schreibe, bin ich allein mit einem Instrument und schaue, was gerade aus mir heraus kommt, was ich verarbeiten muss. Meistens kenne ich den Ursprung meiner Inspiration gar nicht.

Ich liebe es, unterschiedliche Musik zu hören: von Duke Ellington, Fred again.., Joni Mitchell, Ms. Lauryn Hill über Jorja Smith, the National, Ayra Starr und Norah Jones. Ich höre wirklich gerne und viel!

Ich kann und möchte mich da wirklich nicht entscheiden, welche KünstlerIn den größten Einfluss auf mich hat.
 
Frauen in der Musikbranche ist für mich auf LaTrash.de ein großes Thema. Wie hast Du im Laufe Deiner Karriere diese Branche erlebt? Und was würdest Du talentierten Mädchen und jungen Frauen raten, die in der Musikbranche Fuß fallen wollen?
 
Ich merke, dass ich mir mein Team so zusammen gestellt habe, dass ich ausschließlich von feministischen Menschen umgeben bin. Das war bei weitem nicht immer so. Ich musste die Zusammenarbeit mehrmals beenden an Stellen, wo ich mich nicht gesehen oder ernst genommen gefühlt habe. Das waren Momente, in denen ich lernen musste für mich selbst einzustehen und dabei hatte ich immer liebevollen wichtigen Rat von guten FreundInnen, ohne die ich es nicht durchgezogen hätte. Ich würde jungen Flinta, die in der Musikbranche Fuß fassen wollen, raten, sich ein tolles Team zu suchen, in dem Respekt und Toleranz selbstverständlich sind. Mit Gleichgesinnten regelmäßig in den Austausch über Ungerechtigkeiten zu gehen, ist meiner Meinung nach, das einzige, was es erträglicher macht.

Denkst Du, dass sich irgendwann etwas ändern wird an der Dominanz weißer Männer in dieser Branche? Und was siehst Du für Möglichkeiten dafür, dass sich was ändern kann?
 
Sexismus zieht sich vom engsten Kreis leider auch in die letzten Ecken der Musikbranche, die Line-Ups von Festivals und Songauswahlen bei Radiosendern sowieso die Kommunikation hinter den Kulissen sind oft sehr unfair, sodass Flinta benachteiligt sind. Spricht man es an, kommen nur hinfällige Ausreden. Ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass sich etwas daran ändert und sehe an vereinzelten Stellen auch hoffnungsvolle Veränderungen und Einsichten, aber die große Mehrheit klammert sich an den alten Systemen fest, weil sie immer noch davon profitieren. Das ist sehr traurig, aber leider die Realität.
 
Nach Deiner Tour habe ich Dich schon gefragt. Was hast Du darüber hinaus für musikalische Pläne für die kommenden Monate?
 
Ich freue mich sehr darauf in den nächsten Monaten an zwei EPs zu arbeiten, beide sind noch etwas geheim, aber ich denke, ich kann verraten, dass es wieder akustischer wird.

Lina Maly © Antje Burchert